Internationale
Erfahrungen
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Allgemeines
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Großbritannien
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Schweiz
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Niederlande
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Weitere
laufende bzw. in Planung befindliche internationale
Studien
1.
Allgemeines
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2.
Großbritannien
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In Großbritannien besteht seit 1920 die Möglichkeit, sowohl in speziellen Drogen-Kliniken als
auch durch niedergelassene Ärzte Heroin auch zur Behandlung
von Süchtigen zu verschreiben. Heute werden in Großbritannien
zwischen 200 und 300 Opiatabhängige mit Heroin behandelt –
einige von ihnen schon seit 20 Jahren –, dies entspricht
etwa 1 % bis 2 % der mit Opioiden behandelten Drogenabhängigen.
Mehr als 100 Ärzte (ein Drittel davon in London) verfügen über
die Erlaubnis, Heroin an Drogenabhängige zu verschreiben.
Jedoch machen nur etwa 40 Ärzte von dieser Möglichkeit
Gebrauch.
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Wissenschaftliche
Studien aus Großbritannien:
§
Die bekannteste britische Studie von Hartnoll u.a. (1980), ein randomisierter Vergleich zwischen Heroin-
und Methadon-Patienten, erbrachte hinsichtlich der Effekte
keine eindeutige Aussage zugunsten der einen oder anderen
Behandlungsform. So war z. B. die Abstinenzrate unter den
Methadon-Patienten nach einem Jahr höher, die
Heroinbehandlung hatte allerdings eine deutlich geringere
Drop-out Rate zu verzeichnen.
§
Die Untersuchung von Battersby
et al. (1992) mit 40 Patienten, denen injizierbares Heroin
oder Methadon verschrieben wurde, brachte insgesamt wenig
Aufschluss über die Wirksamkeit und den Stellenwert der
heroingestützten Behandlung. Gut ein Drittel der
Untersuchungsteilnehmer zeigte Verbesserungen, allerdings
hatte sich die Lebenssituation von 8 Patienten zum Ende der
Behandlung (nach durchschnittlich 45 Wochen) verschlechtert
(20 %).
§
Eine weitere, aktuelle Studie von Metrebian u.a. (1996; 1998) begleitete die Durchführung der größten
Heroinverschreibungs-Klinik in West London. 58 Patienten, die
zwischen Heroin und Methadon wählen konnten, wurden in die
Untersuchung eingeschlossen. 37 Patienten entschieden sich für
injizierbares Heroin, weitere 21 Personen wurden mit
injizierbarem Methadon substituiert. Nach 3 Monaten waren noch
50 Patienten in der Behandlung (86 %) und nach 12 Monaten 33
Patienten (57 %). Unter den in der Behandlung verbliebenen
Patienten kam es zu einer signifikanten Abnahme des illegalen
Drogenkonsums und des damit verbundenen Risikoverhaltens sowie
zu einem Rückgang krimineller Handlungen. Ferner
verbesserten sich der Gesundheitszustand und die soziale
Integration. Ein direkter Vergleich zwischen der Heroin- und
der Methadongruppe wurde allerdings nicht durchgeführt.
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3. Schweiz
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In der Schweiz begannen 1994 die „Versuche zur ärztlich kontrollierten Verschreibung von Betäubungsmitteln“
(PROVE). Insgesamt 1.146 Patienten haben an PROVE
teilgenommen. Das Projekt wurde an 18 Behandlungsstellen in 15
Städten durchgeführt, die Forschungsorganisation lag bei dem
Institut für Suchtforschung (ISF) in Verbindung mit dem
Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich
(ISPMZ). Die Datenerhebung des Projekts wurde 1996
abgeschlossen.
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Ergebnisse:
§
Deutlicher als in den britischen Untersuchungen schließen
die Autoren der Schweizer Evaluationsstudie mit der
Empfehlung, die „restriktiv gehandhabte“, auf eine
bestimmte Zielgruppe ausgerichtete heroingestützte Behandlung
in speziellen Polikliniken weiterzuführen. Die Machbarkeit
eines solchen Projekts konnte nachgewiesen werden.
§
Die Haltequote war relativ hoch, sie betrug 89 % nach sechs
und 69 % nach 18 Monaten. Es ergaben sich zahlreiche positive
Effekte der Heroinverschreibung: Die körperliche Gesundheit
der Patienten verbesserte sich, insbesondere in bezug auf den
Allgemein- und Ernährungszustand und injektionsbedingte
Hautkrankheiten. Depressionen, Angstzustände und
Wahnvorstellungen gingen kontinuierlich zurück. Der Konsum
von illegalem Heroin und Kokain ging rasch und deutlich zurück,
der zusätzliche Gebrauch von Benzodiazepinen allerdings nur
langsam und der von Alkohol und Cannabis kaum. Auch die
soziale Situation der Patienten verbesserte sich deutlich: So
hat sich die Wohnsituation stabilisiert; keiner der Teilnehmer
ist mehr obdachlos. Die Zahl der festen Anstellungen hat sich
von 14 auf 32 Prozent mehr als verdoppelt; nur noch 20 Prozent
sind arbeitslos. Schulden konnten kontinuierlich und in großem
Umfang abgebaut werden, Kontakte zur Drogenszene nahmen massiv
ab. Nur noch zehn Prozent der Teilnehmenden hat ein Einkommen
aus illegalen und ‘halblegalen’ Aktivitäten; vor
Versuchsbeginn waren es 69 Prozent.
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Im Rahmen des Schweizer Projekts ist im Kanton Genf von
Perneger u.a. (1998) eine randomisierte
Kontrollgruppenstudie durchgeführt worden, die
Heroinpatienten mit Teilnehmern anderer Therapieformen
vergleicht. Eine Gruppe der nach den Schweizer
Indikationskriterien rekrutierten Heroinabhängigen wurde
entweder direkt der Heroinbehandlung oder einer
6-Monats-Warteliste, verbunden mit der Möglichkeit einer
anderen (medikamentösen) Behandlungsform zu folgen,
randomisiert zugeteilt. Letztere konnten nach sechs Monaten in
die Heroinbehandlung übertreten. Ursprünglich waren
jeweils 40 Patienten pro Gruppe vorgesehen, es meldeten sich
allerdings nur 73 Personen, von denen wiederum nur 57 die
Studienvoraussetzungen erfüllten. Zum Abschluss des
6-monatigen Untersuchungszeitraums lagen von 27 Patienten der
Heroin- und 21 der Kontrollgruppe, von denen die meisten eine
Methadonbehandlung begannen, Ergebnisse vor. Bei den
Heroinpatienten gab es einen signifikant stärkeren Rückgang
des illegalen Heroin- und Benzodiazepinkonsums. Ferner nahmen
Suizidversuche im Vergleich zur Kontrollgruppe, bei der eine
Zunahme zu beobachten war, deutlich ab. Dies korrespondierte
mit einer erhöhten Anzahl ärztlicher Behandlungen aufgrund
psychischer Probleme unter den Heroinpatienten. Schließlich
kam es bei der Experimentalgruppe zu einem signifikanten Rückgang
illegaler Einkommensquellen und damit einhergehend zu einer
gegenüber der Kontrollgruppe signifikant stärkeren Abnahme
von Delikten bzw. Anklagen.
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Im Frühjahr 1999 erschien der Bericht einer von der WHO
eingesetzten Expertenkommission zur externen Beurteilung
der Ergebnisse des Schweizer Heroinverschreibungsprojekts (WHO
1999):
§
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Machbarkeit
einer kontrollierten Verschreibung von injizierbarem Heroin
an Drogenabhängige durch das Projekt belegt und die
Einstellung der Patienten auf eine stabile Dosis demonstriert
werden konnte. Die relativ gute Haltequote der Behandlung wird
hervorgehoben. Ferner werden die Verbesserung der körperlichen
und psychischen Gesundheit und der sozialen Integration sowie
ein Rückgang des Drogenkonsums und krimineller
Verhaltensweisen bestätigt.
§ Der entscheidende Kritikpunkt
der Gutachter, der teilweise als Scheitern des Projekts (miss-)interpretiert
worden ist, besteht in einer mangelnden Aussagekraft,
inwieweit die dargestellten Effekte ursächlich
auf die Heroinbehandlung oder aber auf das relativ aufwendige,
psychosoziale Maßnahmen umfassende Gesamt-Behandlungsprogramm
zurückzuführen seien. Hier wird auf das nicht hinreichende
naturalistische Untersuchungsdesign hingewiesen, das bezüglich
evaluativer Fragestellungen gegenüber randomisierten
Kontrollgruppenstudien eine geringere interne Validität
besitzt.
§ Eine weitere Kritik des WHO-Gutachtens bezog sich auf das
Fehlen einer Kontrollgruppe,
d. h., die dargestellten Effekte könnten nicht im Vergleich
zu anderen Interventionen beurteilt werden. Es wurde im Rahmen
des PROVE-Projekts jedoch eine Vergleichsstudie
durchgeführt, die allerdings nur den deutschsprachigen Gutachtern
rechtzeitig vorlag. Die 1998 fertiggestellte Untersuchung
von Dobler-Mikola u.a. (1998) vergleicht die Behandlungsverläufe
von Patienten der „herkömmlichen“ Methadonsubstitution mit
denen der heroingestützten Behandlung.
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4. Niederlande
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In den Niederlanden wurde in einem von 1998 bis 2001 laufenden Forschungsprojekt die
medizinische Ko-Verschreibung von Heroin an langjährig
Opiatabhängige untersucht. Insgesamt 549 Patienten
nahmen an der Untersuchung teil.
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Informationen zu den Ergebnissen der niederländischen
Studie lesen Sie hier: Niederländische
Ergebnisse bekräftigen das bundesdeutsche Modellprojekt
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Das niederländische Projekt stellte insofern eine
Besonderheit dar, als nur
methadonsubstituierte Klienten in die Behandlung
aufgenommen wurden. Ferner wurden injizierbares
und inhalierbares Heroin angeboten, um der in Holland
unter den Heroinabhängigen überwiegenden Applikationsform
des Rauchens Rechnung zu tragen.
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Das Heroinverschreibungsprojekt wurde als Klinische
Studie gemäß den Standards „Guter Klinischer Praxis“
(GCP) durchgeführt. Die Studie hatte zum Ziel, die Wirksamkeit
einer kombinierten Methadon-Heroin-Behandlung über 12 Monate
gegenüber einer ebenfalls 12-monatigen oralen
Methadonbehandlung hinsichtlich der Verringerung des illegalen
Drogenkonsums sowie der Verbesserung des gesundheitlichen
Zustands und der sozialen Integration bei chronischen,
therapieresistenten Heroinabhängigen zu beurteilen.
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In dem – jeweils für injizier- und inhalierbares Heroin
getrennt ausgearbeiteten – 3-armigen Untersuchungsdesign
(Laufzeit 20 Monate) wurde den randomisierten
Untersuchungsgruppen A, B und C über verschiedene Zeiträume
hinweg zusätzlich zum Methadon Heroin verschrieben. Nach
einer 2-monatigen Vorphase, die der Indikation und Überprüfung
der Behandlungsbereitschaft diente, erhielt die Gruppe B
(N=115) für 12 Monate (zusätzlich) Heroin, die Gruppe A
(N=135) wird für 12 Monate ausschließlich mit Methadon
substituiert. Nach Abschluss dieser Phase wurde der Gruppe A
– gewissermaßen als Anreiz, über die gesamte Studiendauer
in der Kontrollgruppe zu verbleiben –, für 6 Monate Heroin
verschrieben; Gruppe B wurde das Heroin wieder entzogen und (für
weitere 6 Monate) allein mit Methadon weiterbehandelt. Die
Untersuchungsgruppe C (N=125) erhielt ebenfalls Heroin
verschrieben, im Gegensatz zur Gruppe B allerdings nur für 6
Monate, nachdem sie 6 Monate zuvor (im Anschluss an die
Randomisierung) ausschließlich mit Methadon substituiert
wurde. Hierdurch sollten eventuelle Wirksamkeits-Unterschiede
zwischen einer 6- und einer 12-monatigen Heroinbehandlung
untersucht werden.
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Aufgrund der geringeren Patientenzahl, die unter
injizierenden Heroinabhängigen rekrutiert werden konnte, hat man beim
Injektions-Projekt
auf die Gruppe C verzichtet. Damit beläuft sich die
Gesamtzahl aller Untersuchungsteilnehmer auf 625
Patienten, 375 im Inhalations-Projekt und 250 im
Injektions-Projekt.
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5. Weitere laufende bzw. in
Planung befindliche internationale Studien
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Seit der Intensivierung der Forschung in diesem Feld,
insbesondere durch die Schweizer Studie Mitte der Neunziger
Jahre, beschäftigen sich international mehrere Arbeitsgruppen
mit der Frage der Integration von medizinisch indizierter
Heroinvergabe in die Behandlung bisher nicht erreichter oder
erfolglos behandelter Heroinabhängiger. Wenngleich bisher nur
wenige Wissenschaftlergruppen aufgrund rechtlicher und ökonomischer
Beschränkungen empirische Studien realisieren konnten, hat
sich ein internationaler
methodischer wie theoretischer Diskurs entwickelt, der die
weitere Entwicklung in der Suchtforschung beeinflussen dürfte.
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Bisher wurden ausgearbeitete Designvorschläge von
Arbeitsgruppen aus Australien
(Arbeitsgruppe Bammer), Kanada
und den USA
(Arbeitsgruppe Vlahov), Belgien
(Arbeitsgruppe Reggers), Großbritannien
(Arbeitsgruppe Stimson) und Spanien
(z. B. Arbeitsgruppe Casas et al.) vorgelegt. Initiativen
von Klinikern zum Einsatz von Heroin gibt es darüber hinaus
in Italien und Frankreich.
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Mitte April 2001 hat die spanische Regierung die Regionen des Landes dazu autorisiert,
Heroinverschreibungsprojekte für Drogenabhängige zu starten,
bei denen andere Therapien versagt haben. Das Projekt wird in
Andalusien, Madrid, Valencia und Katalonien durchgeführt, es
werden insgesamt 500 Patienten teilnehmen.
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