Wissenschaftliche
Argumente für das Projekt
Das
Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung kann sowohl für
die bestehende Forschung in diesem Gebiet als auch für die
Weiterentwicklung von Hilfsangeboten für Drogenabhängige
entscheidende Impulse liefern:
1.
Der
vorliegende Forschungsstand ist ermutigend. Nach den
Ergebnissen aus der Schweiz scheint es möglich zu sein, die
am stärksten marginalisierte Gruppe von Drogenabhängigen mit
einer opiatgestützten Therapie zu erreichen und in das
Behandlungssystem zu integrieren.
Nach den bisher publizierten wissenschaftlichen Erkenntnissen
ist es möglich, diese „Problempatienten“ therapeutisch zu
erreichen und ein Großteil hinsichtlich ihrer
gesundheitlichen und sozialen Situation zu stabilisieren.
Angesichts der extremen Ausgangsbedingungen und des überwiegend
schlechten Gesundheitszustands der Abhängigen mit überdurchschnittlich
hoher Sterblichkeit, somatischen und psychischen
Mehrfacherkrankungen sowie vielfältigen sozialen Folgen
scheint mit der Heroinvergabe möglicherweise eine effektive
therapeutisch-medizinische Alternative verfügbar zu sein.
Dies wird im Rahmen der bundesdeutschen klinischen Studie
eingehend untersucht.
2.
Das bisherige Forschungsfundament – gelegt durch
Schweizer Studien, klinische Erfahrungen in Großbritannien
und die laufende klinische Prüfung in den Niederlanden –
reicht bislang nicht aus, um ein Interventionskonzept mit der
Verwendung von Originalstoffen in der Bundesrepublik
Deutschland zu implementieren.
Ausgangspunkt der Initiative für das Modellprojekt war der Wunsch der
beteiligten Städte, durch das zu untersuchende
Therapieangebot das Hilfesystem für die Gruppe der besonders
problembelasteten Drogenabhängigen zu erweitern und damit
auch die Situation in den Drogenszenen sowie in allen mit der
Drogenabhängigkeit verbundenen Problembereichen zu
entspannen. Auf der Basis wissenschaftlicher Ergebnisse des
Modellprojekts soll die Grundlage für die Zulassung von
Heroin als Arzneimittel und die Finanzierung der Therapie
durch die gesetzlichen Krankenversicherungen geschaffen
werden. Hierfür besteht sowohl ein klinisches als auch ein
gesundheitspolitisches Interesse.
Nur mit wissenschaftlicher Evidenz und entsprechend methodisch
angelegten Studien besteht die Chance, dass im Falle der Bestätigung
der Wirksamkeit einer heroingestützten Behandlung die
Kostenträger in Deutschland bereit sein werden, diese
Interventionsform in ihr Standardbehandlungsangebot zu übernehmen.
Dies ist auch für andere europäische Länder anzunehmen.
3.
Die
Anzahl der vorwiegend Heroin konsumierenden Drogenabhängigen
ist seit
Jahren auf hohem Niveau stabil. Das Projekt hat somit
potenziell für viele Patienten eine hohe Relevanz.
Mindestens 120.000 Personen nehmen in Deutschland derzeit regelmäßig
Heroin. Nach Schätzungen ist davon auszugehen, dass sich
allerhöchstens die Hälfte der Betroffenen in einer
suchttherapeutischen Behandlung befindet. Für die Gruppe von
Abhängigen, die von bisherigen Behandlungsangeboten nicht
erreicht wurden oder nicht hinreichend profitieren und sich
oftmals in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand
befinden sowie unter schwierigen sozialen Bedingungen leben, könnte
die heroingestützte Behandlung eine erfolgversprechende
Therapie sein.
4.
Spezialstudien widmen sich unter anderem gesundheitsökonomischen
und kriminologischen Aspekten.
Im Rahmen des Modellprojekts wird auch untersucht, welche Auswirkungen
die opiatgestützte Behandlung auf die
gesamtgesellschaftlichen Kosten der Heroinabhängigkeit der
Patienten hat, denn bislang entsteht nur ein kleiner Teil der
Kosten der Drogenabhängigkeit (sechs bis acht Prozent) durch
das therapeutische Angebot.
Die Schweizer Studie hat ergeben, dass für jeden Patient,
der an den dortigen Modellversuchen beteiligt war, pro Tag
soziale Kosten in Höhe von 45 Franken netto gespart werden
konnten. Einsparungen ergaben sich beispielsweise durch den Rückgang
der Beschaffungskriminalität und durch die Verbesserung des
Gesundheitszustands der Abhängigen.
5.
Die beantragte integrierte Therapiestudie ist die größte
konzipierte, kontrollierte klinische Prüfung in der
Suchtforschung. Die Weiterentwicklung der
versorgungsorientierten Suchtforschung hat strategische
Bedeutung.
Die versorgungsorientierte Suchtforschung ist eines der Stiefkinder der
medizinischen und interdisziplinären Forschung. Auch in den
Suchtforschungsschwerpunkten der letzten Jahre war der
kleinere Teil der Projekte versorgungsorientiert. Die Studie
bietet zum ersten Mal die Gelegenheit,
Gesundheitssystemforschung
und Interventionsforschung im Rahmen eines interdisziplinären
Suchtforschungsprojekts in der Bundesrepublik Deutschland zu
betreiben. Sie umfasst von der Gesundheitsökonomie bis zur
Kriminologie, von der Psychiatrieforschung bis zur
Pharmakologie alle relevanten Facetten des Forschungsgebiets.
6.
Das Modellprojekt zur opiatgestützten Behandlung trägt
zur Absicherung und Qualifizierung des vorhandenen
Substitutionsangebots bei.
Die Untersuchung des heroingestützten Behandlungsansatzes hat
Bedeutung auch für alle anderen Bereiche und Strategien der
Substitution. Im Rahmen der Kontrollgruppe wird die
Standardmethadontherapie verbunden mit verschiedenen
psychosozialen Behandlungsangeboten untersucht. Insofern ist
die Durchführung des Modellvorhabens ein Schritt hin zu einem
diversifizierten Therapieangebot, das für die heterogene
Gruppe von Therapiebedürftigen ein erweitertes
Behandlungsspektrum ermöglicht.
7.
Durch die
Standardisierung des psychosozialen Hilfeangebots und die
Untersuchung der Effekte unterschiedlicher Behandlungssettings
sind wichtige Erkenntnisse weit über die
Substitutionsbehandlung hinaus im Sinne einer Qualifizierung
des Drogenhilfesystems zu erwarten.
Im Rahmen des Modellprojekts mit dem Charakter einer
integrierten Therapiestudie findet auch die Evaluierung
psychosozialer (Begleit-) Interventionen statt. Darüber
hinaus ermöglicht die Durchführung der Untersuchung als
Multi-Center-Studie in sieben deutschen Städten Vergleiche
der regionalen Bedingungen sowie unterschiedlicher
Inanspruchnahmemuster der therapeutischen Settings.
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